Haushaltsbericht 2000/2001 der Hochschule der Bildenden Künste Saar, Saarbrücken, Januar 2002
Als „durch und durch kommerziell“ beschrieb der Kritiker Eduard Beaucamp den Kunstbetrieb zu Beginn des 21. Jahrhunderts und löste nicht einmal leisen Widerspruch aus, geschweige denn Protest. Entspricht seine Beobachtung den Tatsachen, würden im Kunstbetrieb vornehmlich Gegenstände zirkulieren, deren Warenwert Vorrang vor allen möglichen anderen Werten hat, dem ästhetisch-künstlerischen zum Beispiel. Dem Moment der maximalen Verkäuflichkeit gelte infolgedessen das höchste Interesse (der Künstler wie der Abnehmer). Obwohl der zitierte Kritiker linker Neigungen unverdächtig ist, bestätigte er nur, was antibürgerliche Analysten in den wild bewegten sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Kunst à la mode bereits damals nachsagten. Nicht allerdings, ohne dass sich massive Ablehnung äußerte.
War denn nicht gerade die Avantgarde unter strikt anti-kommerziellem Vorbehalt angetreten? Theodor W. Adorno pries die Haltung der „Verweigerung“ gegenüber kommerziellen Verlockungen auch als moralische Größe. Selbst die weitgehend amerikanisch inspirierte Konzept-Kunst hatte sich zum Ziel gesetzt, das vertraute Vermittlungssystem der Kunst zu unterminieren, indem sie ungewohnte Vermittlungsträger wie Fotografie, Film und Video zu nutzen versuchte. Spätestens aber seit die früher eher kunstignorante Wirtschaft die Gegenwartskunst als geeignetes Werbemittel und eine wachsende Anzahl von Sammlern auch noch ihr spekulatives Potential entdeckt haben, hat sich der antikommerzielle Supcon der Kunstszene verflüchtigt. Die zeitgenössische Kunst erfreut sich steigender Preise – mit partiellen Einbrüchen in der Wertschöpfung wie die Börse -, und der Kunstbetrieb unterscheidet sich vom Show-Business allenfalls noch durch seine vergleichsweise schlechte Repräsentanz in den Massenmedien. Nicht zufällig haben sich Fotografie, Film und Fernsehen neben – und im musealen Ansehen vor – den herkömmlichen Techniken auch in der Kunst etabliert, niemand bestreitet den technischen und elektronischen Medien mehr ihre Kunstfähigkeit.
In dieser Entwicklung einen Paradigmenwechsel zu erblicken, ist sicherlich nicht falsch. Vor allem haben sich die Parameter der künstlerischen Orientierung verschoben, obwohl das niemand offen eingesteht. In dem Maße, wie die Verkäuflichkeit ein wesentliches Kriterium des künstlerisch-ästhetischen Bestrebens wird, entfernt sich die Kunst von den Kategorien der Moderne, die außer der prinzipiellen Autonomie des Kunstwerks lediglich noch die Verwirklichung der subjektiven künstlerischen Imagination einbegriffen haben. Vom künstlerischen Ich als einem grundsätzlich frei handelnden Subjekt hat sich der Brennpunkt der künstlerischen Praxis auf die mehr oder minder bereitwillige Erfüllung der Erwartungshorizonte von Kunsthändlern, Kritikern, Museumsleuten und Sammlern verlagert. Statt Subversion ist Anpassung angesagt. So trug man in der Malerei der jüngeren Zeit Streifen, mal vertikal, mal horizontal, farbig und schwarz-weiß, und favorisierte in der Fotografie wandfüllende Landschaften oder Blumenstillleben. Trotz ihrer scheinbaren Motiv- und Ausdrucksvielfalt gab sich die jeweils zeitgenössische Kunst auf den Kunstmärkten der Welt seltsam einheitlich, das Dekorative war Trumpf.
Gleichwohl wäre es in historischer Hinsicht unzulässig, die Wendung der Dinge, welche die Kunst genommen hat, als etwas vollständig Neues auszurufen. Sie belegt vielmehr zunächst nur das Ende eines Kapitels der Kunstgeschichte, eines von vielen, nämlich des Kapitels der Moderne. Bislang hat man die künstlerische Sphäre der Moderne beinahe ausschließlich aus der Perspektive der avancierten Kunst und ihrer blendenden Propaganda betrachtet. Als sie die Kunst der Vergangenheit den gleichen unwandelbaren Prinzipien des ästhetischen Selbstbezugs verpflichtet gewesen wie die Kunst der Moderne, Tizian ein Vorläufer Robert Rymans. Und die Geschichte der Kunst erschien wie selbstverständlich als eine „Erfolgsstory“ der künstlerischen Emanzipation, gipfelnd in der Avantgarde. Die Behauptung des Kunsthistorikers Martin Warnke, nicht die Künstler hätten sich mit dem Aufkommen der Industriellen Revolution und dem Entstehen des kapitalistischen Bürgertums aus der feudalen Fron der Auftragsfesseln befreit, die sie zuvor von der ungehemmten Entfaltung ihrer Vorstellungen abgehalten hätte, sondern die führenden Gesellschaftsschichten hätten sie im Gegenteil aus ihren einstigen Verpflichtung aus Mangel an Bedarf entlassen, ist andererseits keineswegs aus der Luft gegriffen.
In gewisser Weise haben sich die Künstler tatsächlich allein zu sich selbst befreit, und die Aufgaben, die ihnen einst im gesellschaftlichen Verkehr zufielen, gingen an Vertreter weniger prestigegesättigter Professionen wie Marktschreier, Gaukler, Guckkasten- und Dioramenbetreiber über, aus denen dann die Werbegrafiker, die Fotografen und Filmproduzenten im weitesten Sinne, die Entertainer und die kommerziellen Kommunikationsdesigner wurden. Zwar beäugt der Kunstbetrieb diese nach wie vor noch mit einem leichten Überlegenheitsgefühl, doch die Abwehrfront bröckelt längst, weil sich die Gemeinde der Kunst-Kunst-Anhänger beständig verringert und auch die relativ eingeschränkten Möglichkeiten einer unabhängigen Kunstpraxis aufgrund fehlender gesellschaftlicher Resonanz erschöpfen.
Nicht allein, dass die kommerzielle Sprache der Konsumkultur die Werke der ambitionierten Kunst inspiriert und mit einer Vitalspritze versehen hat – die profiliertesten Repräsentanten der fotografischen und filmischen oder der Zunft der Videoclip-Entwerfer haben sich im Einverständnis mit den kulturellen Eliten bereits weitgehend den Status künstlerischer Legitimation erworben, und es wird kaum noch geraume Zeit dauern, bis auch die erfolgreichsten Werbedesigner sich die Bildwände der Museen erobert haben, wobei sie sich ohnehin schon auf den Spuren der bekanntesten Modedesigner bewegen. Mit der Konsequenz für die zeitgenössische Kunstszene, dass sich der Künstlerberuf tief greifend verändern und das, was an den Kunsthochschulen als „freie Kunst“ gelehrt und in Ehren gehalten wird, sich alsbald in ein Erinnerungsgut der Kunstgeschichte verwandelt. Damit verlöre die „klassische“ Kunstakademie ihre Rechtfertigung. Für die Kunst gleicht sich die Gewinn- und Verlustrechnung indes aus, hier zählen qualitative Maßstäbe, die sich natürlich auch zugleich mit der Umwälzung auskristallisieren, soweit sie nicht beständig seit Urzeiten variieren. Der bedeutende Kunsthistoriker Erwin Panofsky, der Liebhaber und ein außerordentlicher Kenner des Kinos war, charakterisierte den Unterschied zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Kunst einmal so: „Wenn man indes alle Kunst als kommerziell definiert, die primär nicht den Gestaltungsdrang ihres Schöpfers befriedigen, sondern den Ansprüchen des Auftraggebers oder des Käuferpublikums entsprechen soll, dann muss man sagen, dass nichtkommerzielle Kunst mehr eine Ausnahme als eine Regel ist, und eine ziemlich neue und nicht immer glückliche Ausnahme obendrein. Sicher ist kommerzielle Kunst stets in Gefahr, als Hure zu enden, aber ebenso sicher ist nichtkommerzielle Kunst in Gefahr, als alte Jungfer zu enden.“
© Klaus Honnef